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08.05.2012

Mit Netz und doppeltem Boden

(Giesen/Holle/Schellerten/jan) Die Vorstände der gemeinsamen Anstalt öffentlichen Rechts, Bürgermeister Klaus Huchthausen,Holle (links) und Andreas Lücke, Giesen (rechts) erläuterten zusammen mit dem Verwaltungsratsvorsitzenden Axel Witte (Schellerten) das Ergebnis des ersten Vergabeverfahrens der Strom- und Gasnetze im Hildesheimer Land.

Die Entscheidung ist gefallen: Der Gemeindeverbund aus acht Landkreiskommunen will seine Strom- und Gasnetze weiterhin von Eon-Avacon betreiben lassen und erteilt damit dem Hildesheimer Energieversorger EVI eine Absage. Beide Konzerne hatten im Bieterverfahren Angebote für die Konzessionen abgegeben, um sich für die nächsten 20 Jahre die Herrschaft über die Netze zu sichern. Für die Energiekunden ändert sich zunächst gar nichts, die Kommunen allerdings erhalten neue Mitspracherechte und verdienen an der Pacht, die Eon-Avacon künftig zahlen muss.

Zufrieden und nicht ohne Stolz berichten die Bürgermeister Andreas Lücke (Giesen), Axel Witte (Schellerten) und Klaus Huchthausen (Holle) vom Ergebnis dieses Wettbewerbs, das sie am Freitag öffentlich machten: Eon-Avacon bleibt Netzbetreiber in den ausgeschriebenen Gebieten. Das Trio hat für die von den Gemeinden gemeinsam gegründete Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) die gesamte Ausschreibung der Netzkonzessionen entscheidend vorbereitet und begleitet.

Derart zufrieden präsentieren sie sich nun nicht, weil Eon-Avacon von Anfang an ihr Wunschkandidat gewesen wäre, sondern weil sich die Eon-Tochter wie auch die EVI entscheidend bewegt und große Zugeständnisse gemacht hätten. „Durch unseren Zusammenschluss hatten wir eine wirklich relevante Größe erreicht“, sagt Axel Witte. Ein Netzgebiet mit insgesamt 76.000 Einwohnern, das keiner der Konzessionsbewerber einfach links liegen lassen konnte. Mit einem 08/15-Angebot wären weder Eon-Avacon noch EVI weit gekommen, zumal der Landkreis mittlerweile hart umkämpft ist, seit die EVI mit eigenen Angeboten ins rote Eon-Land vorgedrungen ist und dort eifrig Kunden abjagt. Die Strom- und Gasnetze fallen nun aber nicht an die EVI. Anhand einer eigens für diese Konzessionsvergabe angelegten Punktetabelle, nach der die Angebote von einer externen Beratungsfirma bewertet wurden, kann man das nüchterne Ergebnis ablesen: Eon-Avacon schlägt EVI beim Stromnetz mit 1.405 zu 1.332 und beim Gas mit 1.360 zu 1.293 Punkten. Ausschlaggebend für den Erfolg der Roten war die Vorgabe der Gemeinden: Die vorgeschlagenen Kooperations-Modelle sollten ein möglichst geringes Risiko für die Kommunen bedeuten. Und so ist es die Lösung „mit Gürtel und Hosenträger“ geworden, wie Witte es salopp nennt. Ein Deal mit Netz und doppeltem Boden.

Auf der sichereren Seite fühlt sich die AöR nun bei Eon-Avacon. Das Modell sieht wie folgt aus: Die Gemeinde-AöR und Eon-Avacon gründen die neue „Netzgesellschaft Hildesheimer Land“ (NHL), die AöR hält an dieser 51, Eon-Avacon 49 Prozent. Die NHL kauft die Netze für rund 40 Millionen Euro von Eon-Avacon und verpachtet sie dann wieder an die Eon-Tochter. Der Pachtzins ist über die gesamte Laufzeit festgeschrieben, unabhängig von der Entwicklung der Netzentgelte, die Eon-Avacon künftig bekommt. Es lockt bei dieser Lösung keine Riesen-Rendite, dafür aber ein solides, geregeltes Einkommen (siehe auch Interview unten).

Genauso wichtig wie die Einnahmen aus der Pacht sind Lücke, Huchthausen und Witte die inhaltlichen Zugeständnisse, die Eon-Avacon macht: Konnte der Netzbetreiber geradezu in Gutsherren-Manier verschwiegen über die Netze herrschen, haben sich die Gemeinden nun weitreichende Informationsrechte etwa über den technischen Zustand der Netze und deren Wert gesichert. Der Kaufpreis für die Netze kann entscheidend sein – und ist offensichtlich auch von einer gewissen Willkür bestimmt. Denn wie Andreas Lücke erklärt, sei damit zu rechnen gewesen, dass Eon-Avacon die Leitungen zu einem deutlich höheren Preis an die EVI verkauft hätte – was zu einer höheren Beteiligung der Gemeinden an der neuen Netzgesellschaft geführt hätte.

EVI-Geschäftsführer Michael Bosse-Arbogast bedauert die Entscheidung der AöR, erklärt aber ausdrücklich: „Wir halten unser Modell nach wie vor für das bessere.“ Dass der EVI-Vorschlag ein deutlich höheres Risiko für die Gemeinden bergen solle, kann er nicht nachvollziehen. „Wir hatten ja extra ein Optionsmodell vorgeschlagen, um das Risiko für die Gemeinden zu minimieren“, sagt er. Um den Gemeinden die Sorge vor zu hohen Kosten und Risiken zu nehmen, hatte EVI vorgeschlagen: Die AöR könnte wie ursprünglich geplant 51 Prozent der neu zu gründenden Netzgesellschaft übernehmen – oder aber einen geringeren Anteil frei wählen und diesen innerhalb der ersten sechs Geschäftsjahre beliebig aufstocken. Von der Idee, trotz der Schlappe in der Ausschreibung einen gemeinsamen Versorger mit dem Gemeindeverbund zu gründen, hält Bosse-Arbogast allerdings wenig. „Ich sage nicht, dass es gar nicht geht, aber ich wüsste derzeit nicht, wo da die wirtschaftlichen Vorteile für uns liegen sollten.“

EVIs Angebot beinhaltete die Bündelung des Netzbetriebs und des Vertriebs von Strom und Gas in neuen, gemeinsam mit den Gemeinden zu gründenden Stadtwerken. Dass sich nun die ÄöR vorstellen kann, dennoch mit EVI in den Vertrieb einzusteigen, klingt in Bosse-Arbogasts Ohren nach „Rosinenpickerei“.

Eon-Avacon-Sprecher Ralph Montag zeigt sich derweil hoch zufrieden mit dem Ergebnis der Ausschreibung. „Wir freuen uns, dass wir das überzeugendere Angebot abgegeben haben.“ Dass Jobs am Eon-Avacon-Standort in Sarstedt auf der Kippe standen, bestätigt Montag indirekt, indem er sagt: „Die Entscheidung erleichtert es uns, alle Arbeitsplätze in Sarstedt zu erhalten.“.

(gekürzter) Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors (Jan Furhop/Kehrwieder am Sonntag)